2.4.2 Die Umarmung

Der Tänzerin gegenüber steht die Umarmung. Sie bildet im Fries den Abschluß, wobei die Symbolik auf dem großflächig angelegten Mantel sowohl auf Vollendung als auch Weiterführung des Lebenskreislaufs hinweist.

Im Gegensatz zur einzelnen Tänzerin haben wir es bei der Umarmung mit einer Zweiergruppe zu tun. Eine Person, deutlich durch Größe und Breite als Mann ausgewiesen, wendet dem Betrachter den Rücken zu. Deutlich ist dadurch der knöchellange Umhang zu sehen. Breitbeinig steht er da und schlingt seinen linken Arm um eine Frau, deren Silhouette links von ihm knapp zu sehen ist. Sein Kopf beugt sich tief über ihre Schultern, so daß nur sein schwarzhaariger Hinterkopf sichtbar wird. Die Silhouette ist oben abgerundet. Hinter seiner mächtigen Schulter erscheint ein Teil des Frauenantlitzes. Ihr schmaler rechter Arm umfaßt seinen Rücken. Die Gruppe lebt von zwei Polen: dem prachtvoll gestalteten Mantel des Mannes und dem friedvollen Gesicht der Frau. Erst bei näherem Hinsehen erschließt sich das Widersprüchliche der Situation. Die bullige Dominanz der männlichen Figur steht für unseren Zeitgeschmack nicht im Einklang mit der versteckten Existenz der weiblichen Figur. Nicht nur, daß lediglich ein Streifen ihres Kleides neben seinem Mantel zu sehen ist, auch unter seinem Mantelsaum ist nur ein schmaler Kleidsaum zu sehen. Sie wirkt zerbrechlich und steht in unbequemer Haltung. Doch ihre geschlossenen Augen spiegeln Erfüllung wieder.

Das Gewand des Mannes weist ovale Formen mit goldenen konzentrischen Kreisringen auf. Einige von ihnen haben einen weißen Mittelpunkt mit einer hochkant stehenden „Katzenpupille“ und könnten als Augen assoziiert werden. Die Form bildet ein Ei. Das weiße Ei ist ein besonderes Symbol und steht für einen neuen Anfang. Somit auch die Farbe Weiß. 22 Um diese „Augen“ „strahlen“ die Kreisringe aus. Grundsätzlich steht der Kreis für das Vollkommene.

Weiterhin stattete Klimt den Mantel mit einzelnen floralen Elementen wie Blumen oder Blättern aus. Zudem existieren Bild-Quadrate, eines mit einem Fisch und drei mit Vögeln. Der Fisch ist das Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit, er symbolisiert die lebengebende Flüssigkeit. 23

Auf seinem Gewand ist rechts unten ein Quadrat appliziert, das stark auffällt. Es ist ein Mosaik in Schwarz-Weiß, welches vielleicht als ein modernes Mandala gesehen werden kann. Aber auch als ein Stadt- oder Bauplan. Die Assoziation führt deutlich in Richtung: Mathematik, Struktur, Planung.

Abgesehen von diesem schwarzen Element dominiert auf dem Gewand des Mannes das Rot, die Farbe des Lebens. 24 Seine höchste Intensität erreicht das Rot im Hochrot oder Zinnober, und wechselt vom weiblichen Rot des Ockers und der Farbe des Blutes ins Männliche, dem aktiven Rot, dem Symbol des Kriegsgottes Mars, der Macht und des Begehrens.

Das Kleid der Frau ist kaum sichtbar. Die wenigen Stellen an Ärmel und Seitenlinie sind mit Blüten übersät. Runde, ovale Formen gelten als weiblich.

Der Untergrund ihres Kleides ist blau. Hell- und Dunkelblau sind auch die nach unten spitz zulaufenden Dreiecke im Kleid der Tänzerin. Blau symbolisiert Wasser, Luft, Tiefe, Weite, Treue, Reinheit. Die Steigerung von Blau und Rot ist Violett. 25


Quelle:Kurrent,F./Strobl,A.: Palais Stoclet, S. 82
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