2.2 Das Palais Stoclet
Während seines Aufenthaltes in Wien hat der belgische Bankierssohn Adolphe Stoclet (1871-1949) die Arbeiten der Wiener Secession und später der „Wiener Werkstätte“ kennengelernt. Seit 1903 lebte der Brüsseler dort mit seiner Frau Suzanne. Insbesondere von der neu erbauten Wohnhaus-Kolonie auf der „Hohen Warte“ waren sie beeindruckt. Architekt war Josef Hoffmann. Nach dem Tod seines Vaters beauftragte Adolphe Stoclet den Architekten Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte ihm in Brüssel ein Wohnhaus zu bauen. Es sollte das Ideal des Jugendstils von einem Gesamtkunstwerk verwirklichen. Der Bau dauerte von 1906 bis 1911. Die Wiener Werkstätte führte im Einvernehmen mit dem Bauherren seine Entwürfe aus. Dazu gehörten Handwerker und auch führende österreichische Künstler wie Gustav Klimt, Michael Powolny, Franz Metzner, Bertold Löffler und Koloman Moser. Bis heute besteht es in unveränderter Form. Die Fassade kleidet weißer Marmor aus Turili in Norwegen. Die Fassung besteht aus schwarz oxydierten Kupferstäben mit getriebenen vergoldeten Ornamenten. Ein kubisch gestufter Turm ragt aus dem Hauptgebäude hervor, auf dessen Spitze vier Figuren stehen. Rechts neben dem Turm, vom Wohnbereich abgegrenzt, befindet sich der Küchenbereich und die Garage. Der Bau ist trotz markanter Einzelmotive im Gleichgewicht. Betrachtet man den Grundriß, so erkennt man symmetrische Teilbereiche, die in den Hauptbau mit einbezogen wurden. „Im endgültigen Entwurf... ergibt sich in den Raumbeziehungen insgesamt ein strenges und zugleich lockeres Gefüge von Raumgruppen, die in sich geschlossene Figuren bilden und mit Achs- und Symmetriebezügen zueinander in Beziehung stehen.“ 8 Die Wandverkleidung im Inneren der Räume besteht aus Malachit, Marmor oder Onyx, die Fußböden aus Stein, Marmor oder Parkett mit Einlegearbeiten. Darauf liegen Teppiche. Die Halle im Mittelpunkt des Haupthauses verläuft über zwei Etagen. In ihr befindet sich der größte Teil der Kunstsammlung des Ehepaares Stoclet. „Die Funktionen sind nach den Wohn- und Repräsentationsgewohnheiten der Bauherrschaft geordnet. So ist die Raumfolge Eingang-Diele-Garderobe-Wohnhalle, von dort zum Damensalon und Herrenzimmer, so wie Musik- und Theatersaal, zum Speisesaal oder auf die Terrasse, jener Teil für das gesellschaftliche Leben. Andererseits ist die Verbindung vom Wirtschafts- und Bedienstetentrakt über Küche-Anrichte- Frühstücksraum zum Speisesaal, mehr der Familie vorbehalten. Der Speisesaal ist also die Nahtstelle, wo sich gesellschaftliches Leben und Familienleben, Öffentlichkeit und Privatheit überlagern können.“ 9 Vollendung erlangt die Villa Stoclet durch den großen Garten mit Springbrunnen, Pergolas, Rasenflächen und Blumenbeeten. Selbst die Bäume an der Straßenseite und im Garten sind in Form geschnitten und unterstreichen den kubischen Charakter des Hauses. Der SpeisesaalDer Fries von Gustav Klimt befindet sich im großen Speisesaal rechts neben der Halle. Der Raum hat die Maße 6x12 Meter, also ein Verhältnis von 1:2. Man kann ihn durch zwei gegenüberliegende Türen an den Längsseiten betreten, entweder von der Halle oder vom Frühstücksraum aus. An der Querwand dazwischen ist das 183 C 89 cm große Mosaik Ritter zu sehen. Grün geäderter, gelblicher Paonazzo - Marmor ziert die Wände des Saales. In der Mitte steht der langgestreckte dunkle Eßtisch, an dem die mit schwarzem Leder bezogenen und mit Goldprägung versehenen Stühle Platz haben. Der Fußboden besteht aus schachbrettartig verlegten schwarzen, weißen und gelblichen Kacheln. Ein großer, mit goldfarbenen Ornamenten geschmückter Teppich bedeckt die Fläche unterhalb des Tisches. An den beiden Längsseiten sind Buffetschränke aus schwarzem Portovenere-Marmor eingebaut. Über diesen sind die zwei jeweils sieben Meter langen und zwei Meter hohen Mosaikfriese eingelassen. Jeder ist geprägt von einer figürlichen Darstellung, einer einzeln stehenden Frau und einem Paar in Umarmung. Gustav Klimt selbst nannte die beiden „Tänzerin“ und „Umarmung“. Diese Bezeichnung wird im fortlaufenden Text beibehalten, obwohl viele Publikationen von „Erwartung“ und „Erfüllung“ schreiben. 10 Die Abbildungen auf den beiden langen Fries-Stücken sind, bis auf die Tänzerin und die Umarmung spiegelgleich. Betritt man den Raum von der Halle aus, so erblickt man auf beiden Seiten den Rosenbusch und den Lebensbaum mit seinen volutenartigen Zweigen. Dahinter erscheint die Tänzerin auf der rechten Seite und die Umarmung auf der linken Längsseite des Raumes. Nach Süden ausgerichtet befindet sich ein spitzwinkeliger Erker mit zwei hohen Fenstern zum Garten hin. Durch diese Fenster scheint die Morgensonne auf die Tänzerin und die Abendsonne auf die Umarmung. Der Ritter befindet sich aufgrund seiner Anordnung im Hintergrund und steht auch nicht im hellen Schein der Sonne. Durch den langgestreckten Tisch, den sich an den Längsseiten befindlichen Buffetschränken, dem länglichen Rautenmuster auf dem Teppich und dem spitzen Erker sowie der Eckvitrinen wird die Tiefe des Raumes noch mehr betont.
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